Mehr Verkehr, Kohlendioxid, Lärm, Feinstaub, Stickstoffoxide und versiegelte Fläche.
Die Regierung will die Autobahn A23 zwischen Hamburg und Tornesch ausbauen, was bei Anwohnern auf Widerstand stößt, da frühere Versprechen einer verkehrspolitischen Wende weg vom Auto nicht eingehalten werden.
Warum wird die Autobahn ausgebaut, obwohl Hamburg den Autoverkehr um 20 Prozent reduzieren will?
Warum koordinieren Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen ihre Verkehrsplanungen nicht besser?
Warum wurde der Schienenverkehr in Schleswig-Holstein und Hamburg seit über 50 Jahren nicht ausgebaut?
Es wäre in Deutschland undenkbar: In den Niederlanden darf auf Autobahnen tagsüber nicht schneller als 100 gefahren werden. Seit vier Jahren gilt das nun schon. Die niederländische Regierung hat Tempo 100 allerdings nicht etwa eingeführt, um den Verkehr sicherer zu machen, oder weil sie etwas zum Klimaschutz beitragen will. Die rechtsliberale VVD-Partei von Langzeitpremier Mark Rutte, der inzwischen nur noch geschäftsführend im Amt ist, gilt als Partei der Autofahrer und Unternehmer. 2012 hatte sie dafür gesorgt, dass die Höchstgeschwindigkeit von 120 auf 130 erhöht wurde.
"Deutsche Autobahnen sind im Prinzip wie Rennbahnen gebaut", sagt Govert Schermers vom Institut für Verkehrssicherheit SWOF. "Die Fahrstreifen sind in der Regel 3,75 Meter breit, bei uns sind es nur 3,50 Meter." Auch die unbebauten Streifen rechts und links am Rand fallen in den Niederlanden schmaler aus. Ab Tempo 130 fühle man sich nicht mehr wirklich sicher, sagt Schermers: "Die Versuchung, schnell zu fahren, ist in Deutschland viel größer als bei uns."
Ausschlaggebend für die erfolgreiche Einführung eines Tempolimits sei die Balance zwischen Glaubwürdigkeit und Sicherheit. Dazu müsse die Infrastruktur angepasst werden, mit Schildern allein sei es nicht getan, sagt der Verkehrsforscher: "Auf einer Strecke, wo man sich mit 200 Sachen sicher fühlt, kannst du so viele Tempo-100-Schilder aufstellen, wie du willst – es ist nicht glaubwürdig. Und deshalb wird sich auch keiner dran halten."
Dass es in den Niederlanden bei Tempo 100 bleibt, ist allerdings nicht sicher. Der Überraschungssieger der Wahlen Ende 2023, der Rechtspopulist Geert Wilders, will Tempo 140 einführen. Doch Wilders fand keine Koalitionspartner, die ihn als Premier akzeptiert hätten. Nun will er auf den Posten verzichten – damit sich andere Parteien vielleicht doch noch auf das Wagnis einer Koalition mit seiner "Partei für die Freiheit" einlassen. Dadurch ist auch die Zahl der Unfälle mit Verletzten und Getöteten gesunken: 2021 um 16 Prozent verglichen mit dem Durchschnittswert von 2015 bis 2019. Jüngere Zahlen liegen nicht vor. Die Forscher konnten nachweisen, dass diese Abnahme nicht allein auf die Lockdowns zurückzuführen ist. Dazu haben sie die Autobahnteilstücke, auf denen die Geschwindigkeit gesenkt wurde, mit denen verglichen, wo bereits vor der Einführung des Tempolimits Tempo 100 galt. Ergebnis: Auf den Teilstücken, auf denen sich das Tempo geändert hat, sind die Unfälle sowohl 2020 als auch 2021 weitaus stärker zurückgegangen. 2020 war die Abnahme mit 52 Prozent sogar mehr als doppelt so hoch wie auf den Strecken, auf denen alles beim Alten geblieben ist.
Viele Niederländerinnen und Niederländer sehen weitere Vorteile von Tempo 100: Der Verkehr fließt gleichmäßiger. Gedrängelt wird nicht mehr – hat ja eh keinen Sinn. Und Autofahrer sparen Sprit und damit Geld. Über verlorene Zeit hört man dagegen kaum jemand klagen: Besonders weit fährt man in dem kleinen Land ohnehin selten.
Mit dem Spritverbrauch ist auch der CO₂-Ausstoß gesunken. "Insgesamt betrachtet um drei, auf den Autobahnen um zehn Prozent", berichtet Norbert Ligterink von der Organisation für angewandte naturwissenschaftliche Forschung TNO. Zunächst waren dafür in der Hauptsache die Lockdowns verantwortlich, aber die Abnahme war bleibend: "Der Spritverbrauch ist seitdem nicht mehr gestiegen."
Noch größer ist der Rückgang bei den Stickstoffemissionen: "Sobald das Tempo um 20 gedrosselt wird, also von 120 auf 100 oder auch von 100 auf 80, nehmen auch die Emissionen pro Autobahnkilometer um jeweils 20 Prozent ab", erklärt Ligterink.
Insgesamt allerdings verursachen die Niederländer durch das Tempolimit lediglich 0,3 Prozent weniger Stickstoff als zuvor, sagt Jan Willem Erisman, Professor für Nachhaltigkeit an der Universität Leiden: "Das reicht einmalig für den Bau von 75.000 Wohnungen." Davon jedoch konnten aufgrund gestiegener Baukosten, Fachkräftemangel und Bürokratie bisher nur 33.000 errichtet werden.
Wohnungsmarkt und Wirtschaft hat Tempo 100 also nicht viel gebracht. Natur und Autofahrer hingegen profitieren deutlich: Fahren auf den Autobahnen ist nicht nur billiger und entspannter geworden, sondern auch sicherer und umweltfreundlicher.
Aber lässt sich das niederländische Modell einfach auf Deutschland übertragen? "Wir durften noch nie schneller als 130 fahren. Wir sehen Deutsche als Menschen, die gerne rasen", sagt Verkehrspsychologe Tertoolen. Auch geografisch ist die Ausgangssituation eine andere: Deutschland ist größer und nicht so dicht besiedelt, die Streckenabschnitte sind länger, werden seltener von Auf- und Ausfahrten unterbrochen – entsprechend lässt es sich ausgiebig rasen.
Es wäre in Deutschland undenkbar: In den Niederlanden darf auf Autobahnen tagsüber nicht schneller als 100 gefahren werden. Seit vier Jahren gilt das nun schon. Die niederländische Regierung hat Tempo 100 allerdings nicht etwa eingeführt, um den Verkehr sicherer zu machen, oder weil sie etwas zum Klimaschutz beitragen will. Die rechtsliberale VVD-Partei von Langzeitpremier Mark Rutte, der inzwischen nur noch geschäftsführend im Amt ist, gilt als Partei der Autofahrer und Unternehmer. 2012 hatte sie dafür gesorgt, dass die Höchstgeschwindigkeit von 120 auf 130 erhöht wurde.
Ein Gerichtsurteil hat das Kabinett zu Tempo 100 gezwungen. Die Massentierhaltung belastet die Natur so stark mit Stickstoffoxiden, dass ihr keine weiteren Emissionen zugemutet werden können. Durch den Einsatz von Maschinen wird auch beim Straßen- und Wohnungsbau Stickstoff freigesetzt. Viele Bauprojekte liegen seit dem Urteil still – trotz der großen Wohnungsnot. Rutte sprach von der größten Krise seiner Amtszeit. Wenn die Niederlande zusätzlichen Stickstoff ausstoßen wollen, muss sie ihn erst anderswo einsparen – und so wurde Tempo 100 zum notwendigen Übel.
Der Verkehr ist zwar nur für rund 15 Prozent der Stickstoffemissionen verantwortlich. Aber durch Tempo 100 wollte die Regierung zumindest kurzfristig etwas Stickstoff einsparen, damit weitergebaut werden konnte. Um keine Wählerinnen und Wähler zu verlieren, versprach sie, keine zusätzlichen Geschwindigkeitskontrollen durchzuführen. Außerdem gilt dasTempolimit nur zwischen 6 und 19 Uhr. Nachts, wenn weitaus weniger Autos fahren und damit auch entsprechend weniger Stickstoff ausgestoßen wird, dürfen weiterhin bis zu 130 Kilometer pro Stunde gefahren werden.
"Ohne diese beiden Zugeständnisse hätte es mehr Widerstand gegeben", sagt Stefan Westerman vom ANWB, dem niederländischen Automobilbund. So aber sei es bei gemopper geblieben, Gemecker. Obendrein galt auf vielen Teilstrecken bereits Tempo 100. Und da, wo 130 erlaubt war, konnte es bei Weitem nicht immer gefahren werden. Die Niederlande zählen zu den dichtbesiedelsten Ländern der Welt; im Ballungszentrum zwischen Rotterdam und Amsterdam gehen die Stoßzeiten morgens so gut wie nahtlos in die des Abends über.
Auf Tempo-130-Strecken wurde vor dem Einführen von Tempo 100 durchschnittlich nur 117 gefahren, auf Tempo-120-Strecken nur 114. "Die Maßnahme fiel also nicht so stark ins Gewicht", sagt der niederländische Verkehrspsychologe Gerard Tertoolen.
Hilfreich war auch der Zufall, dass das Tempolimit zeitgleich mit den Corona-Lockdowns eingeführt wurde. Das sorgte für Ablenkung, die Autobahnen waren ohnehin leer. Und jetzt, vier Jahre später, sei es kein Thema mehr. Der Widerstand sei nie untersucht worden, sagt Tertoolen: "Wozu auch? Es regte sich ja keiner auf."
Eine Untersuchung im Auftrag der niederländischen Weg- und Wasserbaubehörde ergab, dass die Durchschnittsgeschwindigkeit jetzt nur noch 104 Kilometer pro Stunde beträgt. Die meisten Niederländer und Niederländerinnen hätten das Tempolimit akzeptiert, sagt Tertoolen: "Die Zeiten, dass mich ein Auto mit 140 Sachen überholte, sind vorbei. Und wenn doch eins vorbeirast, ist es ein deutsches."
Deutschland möchte die Autobahn A 23 breiter machen, sodass sie sechs Spuren hat. Dafür hat die Firma DEGES den Auftrag bekommen, die Planung und den Bau zu übernehmen.
wann | was | Schwerpunkt |
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2021 | Machbarkeitsstudie ✓ | |
2022 | Grundlagenentwicklung ✓ | Bewertung des Verkehrs |
2023 | Vorplanung ✓ | Lärmschutz-Planung, Biotop-Erkundung |
2024 | Vorlage Vorentwurf | Planung der Bauphase |
2025 | Einleitung Planfeststellung | Grunderwerb/Enteignung |
2029 | Beginn der Bauzeit | Start in Halstenbek und Rellingen |
2034 | Ende der Bauzeit |